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Maltechnik
Die EI-TEMPERAMALEREI ist eine altmeisterliche Technik. Ein aus Dammaharz, Leinöl und frischem Ei hergestelltes Malmittel wird mit Farbpigmenten unmittelbar vor dem Malen zur Farbe vermischt. Die Technik ermöglicht eine individuelle Farbgestaltung durch einen pastosen oder lasierenden Farbauftrag, der in mehrfachen Schichten möglich ist. Durch Bearbeiten der Farboberfläche beispielsweise mit dem Spachtel kann die Farbschicht strukturiert werden.
Artikel in: FOYER Das Kulturjournal Nr.63/2006 S.52-53 „Glühende Erde“
Vernissagerede zu ‚Verdichtet‘ September 2011
Kunstfoyer am Langenweg Oldenburg von Sabine Schicke (NWZ).
Vielen Dank, Herr Professor Appelhoff für die freundlichen Worte. Meine Damen und Herrn, auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen. Die meisten von uns leben in einer reizüberfluteten Welt. Können wir uns überhaupt noch daran erinnern, wie es war ohne Email, ohne SMS, ohne Facebook, ohne Twitter? Wann haben Sie den letzten Brief mit der Hand geschrieben?
Anke Ibes Bilder schaffen eine Gegenwelt zu dieser hektischen Taktung des Alltags, in der wir uns oft danach sehnen, jemals alle Posten auf unserer To-do-Liste abgehakt zu haben. Von allen Seiten prasseln außerdem Bilder und Botschaften auf uns ein, oftmals ohne dass wir ihnen entkommen können. „Wir sind visuelle Vielfresser geworden“, sagt die Künstlerin und setzt oft monochrome Farbwelten dagegen. Figuratives finden wir höchstens als Zitat und vor allem in ihren jüngeren Werken.
Sie arbeitet am liebsten mit Eitempera, das sie selbst anrührt und das ihr eine mal samtige, mal luzide Oberfläche erlaubt. So lässt sie uns wohltuend eintauchen in ihr Bild „frozen lemon“, das Sie, meine Damen und Herren, schon aus der Einladung kennen. Es gibt keine offensive Botschaft in diesen Blöcken aus Gelb und Ocker. Tiefe entsteht durch die Textur der behandelten Oberfläche – und Ordnung durch die horizontale Gestaltung der Streifen. Nicht eine Linie begrenzt unsere Wahrnehmung der Farbe, die in großer Ruhe in unser Bewusstsein fließen kann: Der Gourmet mag an ein Zitronensorbet denken, der Museumsbesucher fühlt sich vielleicht an Bilder Mark Rothkos erinnert und der Geologe an das gegrabene Relief einer Jahrtausende alten Wüstenlandschaft. All das können wir aber auch gleichzeitig empfinden.
In meinem Wohnzimmer hängt eine frühe Arbeit aus Anke Ibes Terrakotta-Phase: Orange Squares. Ich vertiefe mich oft in diese Bilder mit dem pastosen, gewachsten Farbauftrag, der durchbrochen wird vom Krakelé schwarzer Linien und Flächen. Manchmal möchte ich eine Farbschicht abkratzen, um zu entdecken, was sich darunter verbirgt. Mich erinnern die Orange Squares, auch wenn sie nicht figürlich sind, immer an die Höhlenmalerei von Altamira und Lascaux. Jene Steinzeitmenschen sprachen Worte, die wir nicht mehr verstehen würden. Sie zelebrierten Rituale, die wir nicht mehr kennen. Aber ihre Malerei hat Eiszeiten überlebt, und die einfache Botschaft ist bis heute erhalten geblieben.
Wir hingegen leben in einer Zeit, die so komplex ist, wie sie keine Generation vor uns je erlebt hat. Die Zahl der Möglichkeiten ist unendlich. Für welche Möglichkeit wir uns auch immer entscheiden, so heißt das auch, wir entscheiden uns gegen viele andere, von denen wir vielleicht im Nachhinein werden sagen müssen, sie wären richtiger gewesen. Nicht alles, was zählt, kann man zählen. Und nicht alles, was man zählen kann, zählt (frei nach Albert Einstein). Erinnern wir uns daran, dass eine Aktie der Commerzbank derzeit nur den Wert eines Hamburgers kostet.
Schauen wir auf die Bilderwelt der Künstlerin, so sehen wir, wie sie all das verarbeitet, was täglich auf sie einstürmt an Eindrücken, Gefühlen und Überflutung. Sie verdichtet diese Überflutung in eine oft minimalistische Bildsprache, wenn sie sich in ihr Atelier zurückzieht. „Malen“, so sagt sie, „heißt auch, allein sein können, ja müssen und wollen.“
Bevor diese Verdichtung gelingt, muss sie sich für eine Farbe, für eine Fläche und ein Format entscheiden, Schicht um Schicht – und sie muss wissen, wann es gut ist und welche Spuren Pinsel, Rollen oder anderes hinterlassen dürfen. Dafür gibt es keine mathematische Formel, sondern als Antreiber die innere Unruhe gepaart mit Intuition und Können. Die Gegenwelt, die Anke Ibe entwirft, ist also niemals eindimensional oder simpel, sondern immer vielschichtig – destilliert aus dem Geist dieser Zeit, dann subjektiv verdichtet und gepresst. Dazu gehört auch, übermalte Flächen wieder mit dem Spatel freikratzen zu müssen, die Farbe wegzuätzen oder bei manchen Werken sogar wegzubrennen.
Nicht alle Betrachter können das aushalten. Widerstände in der Innen- und der Außenwelt sind Anke Ibe nicht fremd. „Wenn ein Mensch nicht entscheiden und zu sich stehen kann, kann er nicht Maler werden“, erklärt sie. Das, was wir auf den ersten Blick sehen, ist also nicht notwendigerweise alles, was da ist. Das wäre ja so, als würden wir eine Landkarte mit dem wahren Terrain verwechseln. Anke Ibe fordert uns als Betrachter, diese Landschaft zu entdecken. Und jeder von uns wird darin etwas anderes finden, denn das, was wir entdecken, hat viel mit unserer eigenen inneren Landschaft zu tun.
So wie Anke Ibes Malerei viel mit ihrer Geschichte zu tun hat: Aufgewachsen ist sie in Schleswig Holstein und besuchte von 1970 bis 1975 die Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg, die sie als graduierte Designerin verließ, um ein Studium Bildende Kunst und Theater an der PH und Hochschule der Künste in Berlin anzuschließen. Sie arbeitete als Dozentin für Maltechniken und als Textil- und Interior-Designerin. Seit 2001 lebt sie ihren Traum als freischaffende Künstlerin in Oldenburg. Weiterhin ist sie als Dozentin tätig und engagiert sich im Vorstand des BBK.
Da sie einen hohen Anspruch an sich und ihre Bilder hat, kennt Anke Ibe auch das Gefühl der Unzulänglichkeit und Ungeduld, wenn ihre Erwartungshaltung nicht mit ihrer Inspiration korrespondiert. Sie fühlt sich der amerikanischen Künstlerin Agnes Martin verwandt, die gesagt hat. „Vollkommenheit kannst Du nicht erlangen. Wenn Du tust, was Du machen willst und was Du machen kannst und wenn Du es dann erkennen kannst, wirst Du zufrieden sein.“
Meine Damen und Herren, Giorgio Armani hat einmal gesagt: „Luxus, das bedeutet für mich Unabhängigkeit. Sagen zu können, was man denkt. Verwirklichen zu können, wovon man träumt.“
Blicken wir einen Moment zurück auf die große französische Avantgardistin der 20er Jahre, Sonia Delauney, die ebenso wie Anke Ibe aus der Stoffkunst kam: Bei ihr fanden sich trotz Abstraktion und Geometrie immer konstruierte Bezüge zu Raum und Körper. Illusion und Realität wurden zu einer neuen Einheit verwoben.
Genau das Gegenteil bei Anke Ibe: Es finden sich über Jahre weder Objekte noch Umrisse, es finden sich auch keine definierten Räume. Erst in jüngeren Werken wie dem „Schimmelreiter“ oder „Männerwelten III“ lassen sich Silhouetten erkennen. Hier schemenhaft ein Pferd, dort eine zupackende Männerhand, die wie aus dem Skizzenblock hingeworfen erscheint auf einem Fonds aus Nebelgrau und wässrigem Sandgelb. „Die Dinge entstehen beim Arbeiten“, sagt die Künstlerin über ihre Chiffren und figürlichen Fragmente.
Das Bild „Sgraffito“, das sie ebenfalls aus der Einladung kennen, mag uns an die unzähligen Farbschichten einer alten Strandvilla erinnern. Mauern, deren Farbe zu verblassen scheint und dabei Spuren aus der Vergangenheit preisgibt. Den Code jener Botschaften, die wie spielerisches Gekritzel erscheinen, kann nur jeder für sich entschlüsseln. Er setzt sich zusammen aus den Erfahrungen und Mustern, mit denen wir die komplexen Strukturen der Welt zu erklären versuchen. Mark Rothko sagte dazu einmal: „Denn ohne unsere Sinnlichkeit können wir Menschen so etwas wie Wahrheit nicht erfassen.“
Das Bild „Sgraffito“ erinnert so gar nicht mehr an die Farbfelder eines „Frozen Lemon“, vielmehr an den im Juli verstorbenen großen amerikanischen Künstler Cy Twombly, von dem sich Anke Ibe inspirieren ließ zu dem Spiel der Linien, das zumeist nur einen Teil der Fläche wie zufällig markiert. Diese Linien begrenzen niemals die Farbe, sondern geraten höchstens um ihrer selbst willen außer Kontrolle, um an anderer Stelle fast kalligraphisch meditativ zu enden. In Anke Ibes Werk finden wir immer wieder Brüche und den Mut zum Neuanfang – und fast scheint es, als erkenne man in ihren Schriftfetzen das chinesische Zeichen für Krise, das aber Chance gleichermaßen bedeutet.
In den jüngsten Atlantis-Bildern erobert eine neue Farbskala die Leinwand: abstrakt expressive Farbwirbel- und wolken in Orange- und Türkis-, Blau-Tönen begegnen einander, als wären es Töne einer Sinfonie aus der Sagen umwobenen, untergegangenen Stadt. Die Farbe bildet jedoch nicht etwa Atlantis ab oder einen Abendhimmel, den Anke Ibe über der Ostsee gesehen hat, die Farbe steht für sich selbst – gebrochen und verdichtet in jedem Quadratzentimeter und geformt durch die Spontaneität des Schaffens der Gesamtkomposition. Allein bei den mehrteiligen Tafelbildern trennt eine Fuge die Farben, aber auch die Textur. Hier ein geheimnisvolles schimmerndes Seladon, dort ein pastoses Schiefergrau, das sie mit kräftigem Pinselduktus gesetzt hat. Farbe hat sie schon immer inspiriert. Sie will alle Facetten des Materials Farbe sichtbar machen, mal stumpf, mal glänzend, mal pulverisiert, mal gebunden. Und so lässt sie uns wiederum eintauchen in ein farbiges Nirgendwo, das alles Geplapper des Alltags verstummen lässt. Eine Fülle also, die die Leere erlaubt für jene, die es zulassen können.
Anke Ibe mag kein Schubladen-Denken und in ihrer Kunst finden sich Elemente des Informel ebenso wie des abstrakten und lyrischen Expressionismus – und dann sind es wieder die großen Kissenbilder eines Gotthard Graubners, die sie inspirieren.
Ich bin gespannt, wie Farbe und Linien sich auf Ihren Bildern in Zukunft entwickeln werden, liebe Anke Ibe und klebe kein Etikett. Für Sie ist das Künstlerinnen-Leben weit mehr als ein Beruf. Und so wissen Sie sich im Kontext großer Kolleginnen wie der schon genannten Sonia Delauney, oder auch Georgia O’Keefe und Louise Bourgeois, die der Überzeugung waren: Künstlerin zu sein ist kein Beruf, sondern Teil der Existenz und Identität.
Ich möchte enden mit einem Zitat des genialen Yves Klein, dessen Blau die Welt eroberte und der sagte: „Die Sensibilität ist die Währung des Universums, des Weltraums, der großen Natur, die uns erlaubt, das Leben als Rohstoff zu kaufen.
Die Imagination ist der Träger der Sensibilität. Von der Imagination getragen, gelangen wir zum Leben, zum eigentlichen Leben, das die absolute Kunst ist.“
Vernissagerede zu ‚Geschichten‘ Dezember 2012
Einführung in die Ausstellung von Melanie Wichering , Kunsthistorikerin M.A.
„Geschichten“ . Johannes Cernota (Bronzeobjekte), Anke Ibe (Malerei), Kerstin Kramer (Malerei), Bärbel Woitas (Fotografie)
Galerie Bund Bildender Künstlerinnen und Künstler, Bezirksgruppe Oldenburg
9. Dezember 2012 – 10. Januar 2013
Einführung in die Ausstellung von Melanie Wichering , Kunsthistorikerin M.A.
Anke Ibe
Anke Ibe ist in dieser Ausstellung mit acht zweiteiligen, nahezu monochromen Arbeiten aus ihrer Serie „sfumato“ vertreten. „sfumato“ heißt übersetzt soviel wie „verraucht“ oder „neblig“ und bezeichnet eine von Leonardo da Vinci angewendete Technik, Landschaften in einen nebligen Dunst zu hüllen. Leonardo erreichte den Eindruck der trüben Atmosphäre, indem er über den Malgrund dünne, mit Weiß vermengte Lasurschichten egte und damit eine durchschimmernde, gebrochene Farbtönung erzeugte.
Anke Ibes Bilder erhalten durch den Auftrag spezieller dickflüssiger Pasten und Farblasuren einen Objektcharakter. Materialhafte Oberflächen wie weiches Leder, rostiges Metall, glatter Beton oder spröder Putz und aufgedunsene Farbflächen entstehen. Glatt, spröde, rissig, weich oder hart muten die Oberflächen ihrer Bilder an. Man möchte mit den Händen über die Bilder streichen in der Erwartung etwas anderes zu berühren als ein gemaltes Bild in Eitempera und Mischtechnik.
Anke Ibe (Jahrgang 1953) ist seit 2001 als freischaffende Künstlerin tätig, nachdem sie jahrelang als Textil-Designerin gearbeitet hatte. Sie besuchte die Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg in der Fachrichtung Textil- und Interior-Design und hat die Hochschule der Künste in Berlin mit dem Lehramt für Bildende Kunst abgeschlossen.
Ausgangspunkt ihrer Bildserie ist zunächst die größere, quadratische läche zu der ein malerisches Pendant, die kleinere, rechteckige Fläche bearbeitet wird. Oft nimmt die Künstlerin dabei einen Teil der Farbigkeit der größeren Fläche wieder auf. Diese verselbständigt sich hier, nimmt eine eigene Textur an. Meist ist die kleinere Fläche zurückgenommener, aber deutlich eigenständig in ihrer Textur. Die Form des Quadrates wählt die Künstlerin bewusst, weil diese Fläche die größtmögliche Ruhe beinhaltet. Die Kombination der Farbflächen ist eindeutig festgelegt durch die gemeinsame Rahmung. Die parallel zueinander angeordneten Flächen geben einander Halt, bilden eine Einheit. Bei den senkrecht aufeinander gelagerten Flächen fungiert die untere wie ein Sockel.
Nach dem Grundieren der Leinwand trägt die Künstlerin Schicht um Schicht Farbe oder Pasten auf. Schicht für Schicht entscheidet sie, welche Farbe, mit welchem Hilfsmittel aufgetragen wird und welche Spuren Pinsel, Rolle oder anderes hinterlassen dürfen. Dicke Pasten, die beim Aufziehen Leerstellen auf der Fläche bilden, geben den Blick frei auf die darunterliegende Schicht. Manchmal verwendet sie Schellack, worauf wieder eine wässrige Schicht aufgetragen wird, um eine durch Abstoßung erzeugte, zufällige Struktur zu erzielen.
So erzeugt sie ein Wechselspiel von Farbklängen und Texturen. Rauheit und Glätte, Weichheit und Härte, Hell und Dunkel. Schicht für Schicht wird die Arbeit verdichtet. Bis zu zehn Schichten Farbe und andere Materialien werden aufgetragen und teilweise wieder abgekratzt. Das Material wird von ihr gegossen, gewischt, gekratzt, gespachtelt. Das Handwerkliche ist für sie von großer Bedeutung.
Die Farbigkeit ist zurückgenommen und klar aufeinander abgestimmt. Die Bilder sind flächig angelegt, es werden keine definierten Räume wiedergegeben. Was sie interessiert, ist das Verhältnis der Farben zueinander und deren Wirkung auf der Fläche. Welche Wirkung kann man wodurch erzielen? Wo muss Struktur, wo Schatten, wo Licht gesetzt werden? Wo sollen sich Bündelungen, Schraffuren und Verdichtungen befinden, wo soll ein Auflösungsprozess stattfinden? Die Künstlerin legt besonderen Wert auf eine stimmige Einlagerung der Komposition in die Fläche und insbesondere auch auf die Randlösung der Arbeiten. Das Experimentieren, das sich Entwickeln lassen fordert sie zu immer neuen Varianten auf.
Anke Ibe fühlt sich der amerikanischen Malerin Agnes Martin verbunden, die ähnlich strukturell aber mit völlig anderem Ergebnis arbeitete. Auch sie wählte mit Vorliebe das quadratische Format auf das sie feine Linien zog. Durch die Beimischung von Gesso haben ihre Farbflächen eine auf- und abtauchende Bewegung in sich und erscheinen wie Nebelwände. In den gestalterischen Grundzügen besteht eine Verwandtschaft zwischen den beiden Künstlerinnen, doch sind die Farbflächen von Anke Ibe im Gegensatz zu Martin kompakt und verdichtet.
Beim Anblick von Anke Ibes Farbtafeln mag man sich an Barnett Newmans vertikal durchbrochene Farbfelder erinnern. Er rhythmisierte die Farbfläche in unregelmäßigen Intervallen mit Hilfe von vertikalen Streifen, die der Künstler “zips“ (Reißverschlüsse) nannte.
Bei Anke Ibe entsteht eine Fuge durch das Zusammenfügen zweier Malplatten. Die Fuge ist das verbindende Glied zwischen zwei autonomen Flächen, die erst zusammengefügt ein Ganzes ergeben.
Anke Ibes monochrome Arbeiten sind klar durchdachte, strukturelle Komposition, die einen ruhigen Gegenpol zur heutigen, reizüberfluteten Umwelt bieten. Sie fordern uns auf, innezuhalten und Konzentration im Wesentlichen zu suchen.
Artikel Diabolo 2019
Künstler von hier… 11 Fragen an Anke Ibe gestellt von Karin Eickenberg 12.6.2019
WIE SIND SIE ZU IHRER KUNST GEKOMMEN ?
Schon immer ist creatives Tun das Wichtigste in meinem Leben ! Der Wille, mit den Händen aus so simplen Materialien wie Pinsel, Farben, Leinwand, bzw. aktuell: Papiersorten, Schere und Klebstoff, etwas komplett Neues zu erschaffen, ist elementar für mich: ein sichtbares Objekt mit meinem `fingerprint`, das auch ohne meine Anwesenheit Bestand hat.
WAS MÖCHTEN SIE MIT IHRERE KUNST BEWIRKEN ?
Dass die Betrachtenden spüren, dass alle meine Arbeiten den unbedingten Kontrast zu der optischen Dauerüberflutung darstellen. Schon die Räume, in denen Kunst gezeigt wird, signalisieren: Ruhe, Stille, entschleunigen, ankommen, sich einlassen: was sehe ich da eigentlich? Mehrfaches Hinschauen lohnt sich unbedingt bei meinen Arbeiten.
MIT WELCHEN THEMEN SETZEN SIE SICH AUSEINANDER ?
Weder mit politischen noch mit psychologisch- selbsttherapeutischen Thematiken.
Hauptsächlich mit ungegenständlichen Bildinhalten, die sich beim Arbeiten entwickeln,
Farbe-Form-Bildkomposition, die klassischen Themen, beschäftigen mich immer.
Materialexperimente, die unterschiedliche Strukturen ergeben, lassen sich z.B. mit Farbschüttungen weiter bearbeiten. Das neue Bild ergibt sich aus dem fertiggestellten…
WO UND WIE ARBEITEN SIE ?
Im eigenen Atelier und allein. Das Bild entsteht ohne feste Themenidee. Es entwickelt sich dialogisch zwischen Spontanität und Analyse. Farbe wird aufgetragen, wieder übermalt, abgekratzt, ausgewaschen, vielleicht mit Wachs überzogen.
IHRE KREATIVE EIGENART ? BESONDERER STIL ?
Unterschiedliche künstlerische Techniken wie selbstangerührte Eitemperafarben, Japantuschen, Pastellkreiden, Kohlezeichnungen, auch mal Blattgold finden sich in meiner Arbeit wieder. Typisch ist die Farbpalette des Nordens: sand, grau, bläulich, wenige Kontraste, fein nuancierte Farbwahl.
EIN HÖHEPUNKT IHRER BISHERIGEN ARBEITEN ?
Meine Einzelausstellung 2018 in der Galerie Staublau, Staugraben 9. Dort habe ich den optimalen Raum für meine Collagen gefunden! Das Besondere sind die Wände dort: sie wurden von alten Farbschichten freigelegt, sodass die wunderbare Patina des alten Gemäuers sichtbar ist. Ich habe dort meine Arbeiten so gehängt, dass sie in einen Dialog mit den Wänden bilden. Passenderweise war der Titel der Ausstellung MIMIKRY.
EIN AKTUELLES PROJEKT ?
Ich spreche lieber von Werkphasen… weiterhin beschäftigt mich das Thema Collage.
Papier mit all seinen Möglichkeiten ausloten! Gerade habe ich eine kleine Serie von 9 Arbeiten auf 30 x 30 cm Wellpappeblöcken collagiert. Auch Decollage ist ein wichtiges Stilmittel: Abgerissenes, Zerstörtes, Gealtertes interessiert mich. Auch Monotypiedruck findet seinen Einsatz, ebenso Bienenwachs.
WO IST IHRE KUNST ZU SEHEN ?
Noch bis 1. März 2020 in den Fluren des Rehazentrums, Brandenburger Str. 31. Dort sind 20 Arbeiten unterschiedlicher Grösse zu sehen. Alle mit Eitemperafarben gemalt in warmen terracotta Tönen, einer für meine frühen Werke typischen Farbwahl. In der Staublau-PARADE Ausstellung , die noch bis zum 22.9. 2019 läuft bin ich mit einer Collage vertreten, ebenso mit 2 Arbeiten in der diesjährigen BBK- Jahresausstellung WALD und WASSER in der Galerie, Peterstr. 1 (Vernissage So 18.8. 11.00 Uhr)
WAS BEDEUTET ERFOLG FÜR SIE ?
Die langjährige Berufserfahrung mit allen Höhen und Tiefen bilden einen Bodensatz, der nicht nur meine Arbeit prägt, sondern auch meine Persönlichkeit. Ich kann mich auf mein Können verlassen. Alleine zu arbeiten erfüllt mich mit Zufriedenheit, ich mag die ruhige Stimmung im Atelier. Ich arbeite mich solange an dem Bild ab, bis es meine Qulitätskriterien erfüllt. Wenn das erreicht ist, spüre ich ein Erfolgsgefühl. Das stellt sich auch ein, wenn ich meinen Bilderbestand durchschaue und daran meine malerische Entwicklung nachvollziehen kann. Natürlich freut es mich auch wenn ich höre: Deine Werke lösen auf einer ganz tiefen Ebene etwas aus, was ich noch gar nicht fassen kann.
WIE LEBT ES SICH ALS KÜNSTLERIN IN OLDENBURG ?
Persönlich gut, der Austausch mit den Kollegen ist möglich, im BBK -Berufsgruppenverband bin ich aktiv. Der Prozentsatz an Kunstinteressierten in der Bevölkerung ist sehr gering und das Interesse und die Offenheit für regionale Künstler ist wenig entwickelt, was sich ja aktuell auch an der Diskussion über die Nutzung des Stadtmuseumneubaus zeigt. Erfreulicherweise zeigen die Offenen ARTELiers, die alle 2 Jahre stattfinden, ein durchaus positives Bild mit vielen interessierten Besuchern.
Kritisierenswert finde ich auch die zunehmende Verwässerung von Hobbykünstlern und Berufskünstlern. Es ist keinesfalls gute Kunst, nur weil keine deutliche Kritik geäussert wird.
EIN WUNSCH, EIN PLAN,EINE VISION ?
Bitte den Kunstunterricht von Fachkräften abhalten lassen, frühzeitig Kinder an Kunst heranführen, spielerischen Umgang fördern. Was sicherlich auch wichtig ist: Geduld, Ausdauer und Willenskraft zu schulen, kann man im Leben immer brauchen!
Intention der Werkphasen 2024
I N T E N T I O N der W E R K P H A S E N März 2024
Die aufeinander folgenden Werkphasen seit 2001 lassen sich gut am Farb- und Technikwechsel ablesen:
M A L E R E I , Z E I C H N U N G , C O L L A G E
Die frühen Bilder, gemalt in warmen, rotbraunen Farben auf quadratischen Formaten zeigen das Bedürfnis nach geerdet sein und innerer Ruhe.
Die Bildoberflächen werden strukturierter, haptischer.
Hervor gerufen durch der Grundierung beigemischter Materialien wie Sand, Asche oder Marmormehl.
Der Malstil erweitert sich zur Mischtechnik.
Die Temperaschichten werden lasierender und zeichnerische Materialien wie Pastell-/ Ölkreiden, Kohle, Rötel, Grafit kommen hinzu.
Farb- und Materialschichtungen geben den Bildern eine dreidimensionale Optik mit Patina und Gebrauchsspuren.
Ab 2015 bekommt der Werkstoff Papier eine eigenständige Bedeutung.
Es entstehen großflächige fragile Papierarbeiten mit asymmetrischen Aussenmassen.
Kleinformatige Serien auf Malkarton folgen, die ein robusteres Arbeiten ermöglichen wie:
integrieren von dreidimensionalem Material, auftragen von heißem Wachs,
herausschneiden aus selbigem, um darunter liegende Bildelemente sichtbar werden zu lassen.
Zudem steht erstmalig die erzählerische, inhaltliche Aussage gleichberechtigt neben den bisher ungegenständlichen Bildinhalten.
Figuration lässt sich erahnen und wird im Betrachterauge zur persönlichen Bildstory interpretiert.
Unter der matten Oberfläche zeigen collagierte Papiere Bildausschnitte im Hell- Dunkel- Kontrast.
Figuration wird erahnt und im Betrachterauge zur persönlichen Bildstory interpretiert.
Die glatte, das ganze Format überziehende Wachsschicht schafft eine einheitliche Bildebene auf den Papierqualitäten in unterschiedlicher Dicke.
Zusätzlich dringt das Wachs in die Papierschichten ein und macht diese durchscheinend.
Der milchige Wachsfarbton unterstützt den diffusen, verrätselten Charakter der Arbeiten positiv.
Die Materialität des Papiers wird mehrfach genutzt, als Malpappenuntergrund und als aufgebrachte Collageelemente und als Recyclingmaterial der Printmedien.
Die künstlerische Oberflächengestaltung zeigt Spuren von Zerstörung: Decollage.
Papierschichten werden gewaltsam abgerissen, die Wachsschicht wird aufgeschnitten.
Es entsteht eine abgeblätterte, gealterte, verwitterte Bildaussage.
Und immer geht es um BILDKOMPOSITION und STRUKTUR in den Werken.